Dr. Oppenheimer oder: Wie er lernte, die Bombe zu lieben (2024)

«Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten»: Christopher Nolans monumentales Werk erzählt von dem Mann, der die Atombombe in die Welt brachte.

Andreas Scheiner

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Dr. Oppenheimer oder: Wie er lernte, die Bombe zu lieben (1)

«Oppenheimer» von Christopher Nolan ist eine Wucht. Das Biopic über den «Vater der Atombombe» jagt drei Stunden lang massiv Druckwellen über die Leinwand. Politthriller, Drama, Liebes- und auch ein wenig Forschungsgeschichte knallen in Nolans Teilchenbeschleuniger aufeinander. Energien setzt das frei, wie man es von der Filmkunst fast nicht mehr erwartet hat.

Dass Nolan die Kräfte der Physik auszuhebeln geniesst, weiss man seit dem Science-Fiction-Hit «Inception». Jetzt demonstriert er, dass er gerade auch aus der physikalischen Logik heraus Spektakel schaffen kann. Sein gewaltiges Epos über den amerikanischen Kernphysiker, der das Manhattan-Projekt leitete, ist die Machtdemonstration eines Regisseurs, der wie sein Protagonist in der Theorie ein Genie ist und in der Praxis ein Hasardeur. Intelligente Filme von grösserem Kaliber macht gegenwärtig keiner.

Mehr Marxist als Jude

Cillian Murphy, sträflich unterschätzt (bisher vor allem in Nebenparts in Nolans «Batman»-Filmen versorgt), spielt J.Robert Oppenheimer als Mann ohne berechenbare Eigenschaften. Ein sphinxhafter Guru wird er genannt, der Kerl mit den wasserstoffblauen Augen. Mit diesem eiskalten Blick, der früh schon alles durchdringt. Als Doktorand in Göttingen, noch mit wildem Haar und Temperament, spritzt er einem ihn nervenden Dozenten Blausäure in den grünen Apfel. Später löchert das Wunderkind den Atomphysiker Niels Bohr mit Fragen. Ein anderer, Isidor Rabi, sagt’s bewundernd auf Jiddisch: Ein «Schvitzer» sei er, so meint Rabi neckisch zu Oppenheimer, ein Angeber. Der allerdings macht sich aus seiner jüdischen Herkunft zunächst wenig, Jiddisch versteht er nicht.

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Dafür triumphiert der junge Wissenschaftsstar in den Niederlanden mit einem Vortrag zur Quantenphysik auf Niederländisch. Er liest auch Marx im Original. Das Herz schlägt links. Den Republikanern, die im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco kämpfen, schickt er Geld, ausserdem engagiert er sich gewerkschaftlich. An die Wandtafel kritzelt er nicht nur mathematische Formeln, die Kreide ruft auch zum Arbeitskampf auf.

Oder dann landet er im Bett mit einer feurigen Kommunistin (Florence Pugh), der er nach dem Beischlaf ein bisschen in Sanskrit aus der heiligen Schrift des Hinduismus vorliest: «Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten», so sagt der Gott Vishnu, der für das Gleichgewicht zwischen gut und böse sorgen sollte. Noch kann Robert Oppenheimer nicht ahnen, dass er bald selbst zum Zerstörer von Welten wird.

Wichtige Begegnung an der ETH

Bevor er aber in Los Alamos, im Niemandsland von New Mexico, das Manhattan-Projekt aufbaut, finden wir uns mit Robert Oppenheimer an der ETH Zürich wieder. Eine kurze Szene, die nicht nur deshalb bemerkenswert ist, weil Hollywood so selten in Zürich aufschlägt (laut Abspann wurde am Originalschauplatz gedreht). Sondern weil Oppenheimer an einer Tagung dem jungen Werner Heisenberg begegnet, dem Quantenmechaniker, der sich später in den Dienst der Nazis stellen wird.

Der Wettlauf mit Hitlers Forschern wird zu einem zentralen Antrieb für Robert Oppenheimer. Als er vom Kommandanten Leslie Groves (schnauzbärtig und wunderbar anschnauzerisch: Matt Damon) mit dem Forschungsprojekt zum Bau der Atombombe betraut wird, macht er sich nichts vor. Er weiss, was er tut. Oder besser: Er weiss, dass er nicht wissen kann, was andere mit «seiner» Bombe tun werden. Ob man «uns mit der Bombe vertrauen kann, weiss ich nicht», so sagt er einmal. «Aber dass man den Nazis nicht vertrauen kann, das weiss ich.»

Was er ausserdem weiss: Die Nazis haben zwar einen Entwicklungsvorsprung, aber ihr Antisemitismus wird sie bremsen. Denn für Hitler sei Quantenphysik «etwas Jüdisches». Die deutschen Wissenschafter würden sich daher früher oder später selbst im Weg stehen.

Oppenheimer ist ein jüdisches Patriziergeschlecht. Roberts Eltern waren wohlhabende Leute, die laut Biografien ihr Jüdischsein eher versteckten, weil sie Neider fürchteten: Wie der Sohn, der offenbar mit seiner Herkunft hadert, sich dem Kampf gegen die Nazis verschreibt, würde allein einen Film füllen. Bei Nolan ist der Rückgriff auf die jüdische Identität nur eine Randnotiz, der Regisseur kann vieles bloss andeuten, mit 181 Minuten ist der Film entschieden zu kurz.

Nolan nimmt dafür mit, was er kann: wie der Mann lernte, die Bombe zu lieben, ist das eine. Ein wesentlicher Erzählteil gehört auch Oppenheimers persönlichem «Fallout» nach Hiroshima und Nagasaki: Der Abwurf der Atombomben nagt am Wissenschafter, «ich habe Blut an meinen Händen», sagt er zu Präsident Truman. Truman, der kalte Hund, bietet ihm ein Nastuch an.

Robert Oppenheimer ist «Amerikas Prometheus». So heisst auch die Biografie, auf der der Film basiert. Oppenheimer bringt den Menschen das Feuer. Dann wird er an den Felsen gekettet. Im Kalten Krieg holt ihn sein jugendlicher Linksdrall ein: Er wird als Kommunist diffamiert, und Christopher Nolan nimmt im dritten Akt Anlauf, um von der Implosion dieses uramerikanischen Helden zu erzählen.

Die Sache ist komplex: Die politische Hatz hat Oppenheimer nicht verdient, aber seinen tiefen Fall vielleicht trotzdem: Hunderttausende Menschenleben hat seine Waffe gekostet – war ihr Einsatz nach der Kapitulation Deutschlands geboten? Das ist die eine Frage. Was Oppenheimer für ein Monstrum in die Welt gebracht hat, die andere. Sie fällt gerade mit den russischen Atomwaffen-Gebärden gegen die Ukraine auf einen ungeahnten Resonanzboden. Die Gegenwart ruft also auch noch ihr Echo hinein in diesen stürmischen Film.

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Auch ein Western

Der Regisseur fordert vom Zuschauer höchste Konzentration ein. Die sich vor dem Hintergrund der McCarthy-Ära zuspitzenden Ränkespiele nimmt Nolan geflissentlich auseinander, auch lässt er den Film viel springen: Albert Einstein im grauen Pullunder wartet auch auf seinen Auftritt. Oder dann will Nolan ausgiebig aus Los Alamos erzählen, wo Oppenheimer nicht einfach eine Forschungsanlage hochziehen liess. Eher glich das Retortenstädtchen, in dem die führenden Wissenschafter unter höchster Geheimhaltung operierten, einem Westerndorf. Oppenheimer setzt den Fedora auf und wacht wie ein Sheriff. «Fehlt nur noch ein Saloon», sagt seine Frau.

Von ihr, der freigeistigen Kitty (Emily Blunt), die als Oppenheimers Hausfrau innerlich einging, muss Nolan natürlich ebenfalls berichten; genauso von der kommunistischen Jugendliebe, die nicht erlischt. Bis sie ein tragisches Ende nimmt. Nein, die Frauen von Robert Oppenheimer, der auch ein bisschen ein Womanizer war, haben’s nicht leicht, es kommt Melodramatisches hinzu, was den Gefühlsverweigerern unter den Zuschauern aufstossen mag. So wie man sich auch an den grossflächigen Geigenteppichen stören kann. Das sind Geschmacksfragen. Der Film mit der Bombe mag auch ein Spaltpilz sein.

Aber in seiner Bild- und Erzählgewalt ist dieser neue Nolan nachgerade eine Kernwaffe des Kinos. Dass er irgendwann auch auf kleinen Bildschirmen zu sehen sein wird, darf eigentlich nicht sein. So eine cineastische Überschussenergie lässt sich nicht streamen. Der Film ist sein eigenes cineastisches Wettrüsten. Nach 181 Minuten muss das Publikum, geplättet und verstrahlt, aus den Sitzen geschabt werden. «Oppenheimer» ist eine Urgewalt, Überwältigungskino, um’s ganz profan zu sagen: ein Kracher. Wem’s zu viel ist, für den gibt es immer noch «Barbie».

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